Die Durchführung von Meetings bewegt mich sowohl als Coach als auch in der Rolle der Teilnehmerin schon seit vielen Jahren. In Trainings lege ich sehr viel Wert darauf, Meetings produktiver und motivierender zu gestalten, denn diese gemeinsame Zeit ist in meinem Verständnis eine viel zu wichtige Chance als dass wir uns in ihr langweilen sollen, ärgern oder gar nicht wert geschätzt fühlen. Doch leider sind in einigen Unternehmen sowohl auf Seiten der Führungskräfte als auch auf Seiten der Teilnehmenden Meetings derart verkommen, dass sie nur noch als Ballast und damit überflüssig empfunden werden. Im August 2017 habe ich dazu bereits den Artikel „How to conduct effective team meetings“ verfasst. Nun bin ich vor einigen Tagen über einen Tweet von Christian Müller „gestolpert“ und habe mir interessiert die zahlreichen Antworten dazu durchgelesen. Die Bandbreite an guten Ideen bis hin zu Erklärungsversuchen, Entschuldigungen und Schuldzuweisungen haben mich dazu inspiriert, erneut etwas dazu zu schreiben. Danke @cmueller80, dass du dieses Thema mal wieder auf dem öffentlichen Tisch serviert hast!
Meetings sind Bestandteil unserer Arbeit!
Im Durchschnitt verbringen wir in Unternehmen 15% unserer Arbeitszeit in Meetings. Da dies nur ein Durchschnittswert ist, gibt es abhängig vom einzelnen Unternehmen und der jeweiligen Rolle einer einzelnen Person hierbei durchaus große Abweichungen. Allerdings lässt sich mit diesem Mittelwert leicht ausrechnen, wie groß der Anteil unseres Gehaltes ist, der für Meetings investiert wird. Wer es genau wissen möchte, schreibt einfach mal über einen Monat genau auf, wie viel Zeit in Meetings verbracht wird und rechnet das auf das Gehalt um. Nur zum Spaß kann das auch mal für alle Anwesenden in einem Meeting durchgespielt werden. Dabei wird schnell deutlich, dass Meetings ein kostspieliges Unterfangen sind. Doch das sind nur die offensichtlichen Kosten. Die versteckten Kosten finden hierbei noch gar keine Berücksichtigung und lassen sich sogar nur schwer bis gar nicht in Zahlen fassen – und haben dennoch enorme Auswirkungen auf den Erfolg. Was sind denn nun aber die versteckten Kosten?
- Respektlosigkeit
- Demotivation
- Frust
- Keine oder schlechte Entscheidungen
- Verlorene Chancen zum Teilen von Wissen
- Verlorene Chancen auf werthaltige Diskussionen für bessere Lösungen
- Verpasste Gelegenheiten für Wertschätzung und Anerkennung
- Schlechte Vorbildfunktion
- Verbreitung von unpassenden Verhaltensweisen im gesamten Unternehmen
Grundsätzlich ist es hierbei egal, ob es die Führungskraft oder die Teilnehmenden sind, die solch ein von Christian Müller beschriebenes Verhalten an den Tag legen oder es auch nur tolerieren. Genau, richtig gelesen! Für mich sind nicht nur diejenigen verantwortlich, die sich in einem Meeting nicht korrekt verhalten sondern auch diejenigen, die es tolerieren! Übersetzt heißt das, dass jeder von uns erwachsen und professionell genug sein sollte, es nicht hinzunehmen, dass andere unsere wertvolle Zeit verschwenden. Meines Erachtens sollten wir alle mehr Verantwortung übernehmen für das, was wir machen und auch dafür, was mit uns gemacht wird. Es kann in meinen Augen nicht angehen, sich einerseits über einen Mangel an Zeit zu beschweren, andererseits aber stillschweigend in Meetings zu sitzen, die das Team oder die Arbeit nicht voranbringen.
Nun lässt es sich ja leicht sagen, dass es dafür ja die Rolle des Meetingleiters bzw. Facilitators gibt, die das dann regeln kann. Ja und nein. Der Facilitator kann offensichtliche Störungen ansprechen, jedoch nicht Gedanken lesen oder gar wissen, wie andere sich fühlen. Daher sind alle gefragt!
Meetingkultur als Spiegel der Organisationskultur
Wie von @Jens_M_Ruppelt in seiner Antwort beschrieben sind Meetings tatsächlich ein Spiegelbild für die Organisationskultur. Und gleichzeitig verstärkt jedes „schlecht“ abgelaufene Meeting diese kontraproduktive Organisationskultur, denn wenig wertschätzende Verhaltensweisen und der respektlose Umgang mit limitierten Ressourcen im Meeting: Zeit, Geld, Motivation – werden immer stärker in den Arbeitsalltag übernommen. Das ist doch alles viel zu dramatisch, mag mancher denken. Vielleicht! Und sicherlich sollten wir nicht aufgrund eines einzelnen, sich nicht wiederholenden Ereignisses gleich eine Krise heraufbeschwören; doch wir sollten unser Bewusstsein und unsere Aufmerksamkeit dafür schärfen, Störungen als solche zu erkennen und auf ihre Wirkung und Auswirkung hin zu beurteilen. Dabei sollten wir immer im Kopf haben, dass Änderungen im Verhalten – besonders die unbewussten – einen schleichenden Prozess darstellen, dessen Ausmaß häufig erst dann klar wird, wenn es bereits schon sehr oder zu spät ist! Hier verfolge ich das Motto: Lieber rechtzeitig drüber reden und ein Commitment finden, bevor die Motivation und das Engagement bei den anderen gehen und der Frust und die Gleichgültigkeit sich einschleichen!
Selbstverständlich rede ich nicht darüber, dass jemand mit dem Handy Fotos von Flipcharts oder der Präsentation macht! Auch eine Meeting bezogenen Frage schnell mit den nicht anwesenden Kollegen abzuklären oder Termine zu prüfen, kann durchaus hilfreich sein und zur Produktivität beitragen.
Es geht immer noch darum, dass eine Person während eines Meetings Emails checkt und beantwortet, seine Social Media Kanäle bearbeitet, chattet oder spielt – alles Dinge, die nichts mit dem Meeting zu tun haben.
In meiner Tätigkeit als Coach ist es stets besonders spannend und aufschlussreich an den ersten Meetings bei einem neuen Auftrag – am liebsten abteilungsübergreifend – teilzunehmen und zu beobachten. Diese Beobachtungen helfen mir sehr, Gespräche und Informationen in einen entsprechenden Kontext zu setzen und über das Unternehmen zu lernen. So kann ich später weiterführende Fragen stellen und zum Nachdenken über das „Warum“ anregen.
Wertschätzung, Respekt und Multitasking
Eine weit verbreitete, trotzdem aber fatale Selbstüberschätzung ist der Glaube, dass wir konzentriert schreiben und gleichzeitig konzentriert zuhören können! Ich bin überzeugt, dass dieser Irrglaube dazu führt, dass wir keiner der beiden Aufgaben den nötigen Respekt entgegenbringen. Kommunikation ist ein komplexes Thema. Und obwohl wir von frühester Kindheit zu kommunizieren lernen, wissen wir alle, wie häufig es zu Missverständnissen kommt. Einige der Gründe dafür sind, dass wir entweder nicht richtig zugehört haben, nicht richtig gelesen haben oder uns nicht deutlich ausgedrückt haben. „Natürlich, beim Zuhören muss ich ja nur da sitzen und nichts machen – das geht so nebenbei.“?
Schon in den agilen Prinzipien steht, dass Kommunikation wichtig ist, am besten von Angesicht zu Angesicht. Doch wo bleibt das „Sich Anschauen“, wenn ich die ganze Zeit auf meinen Bildschirm schaue? Und warum ist das „Sich Anschauen“ überhaupt so wichtig? Ganz einfach – Kommunikation ist weitaus mehr als nur das Wort. Unser Gehirn verarbeitet mehr Informationen als nur das Wort selbst. Da kommen Dinge wie Tonfall, Betonung, Mimik, Körpersprache und etliches mehr noch mit ins Spiel. Und deren Wirkung ist enorm. Sie packen das Gesagte in einen größeren Kontext. Das ist auch der Grund, warum es beim Schreiben oft so schwierig ist, den „richtigen Ton“ zu treffen und sich nicht alle Informationen dazu eignen, schriftlich übermittelt zu werden!
In meiner Kindheit, die zugegebener Maßen nun schon ein paar Jahrzehnte her ist, habe ich gelernt, dass es ein Zeichen von Wertschätzung und Respekt ist, denjenigen, der mit mir spricht, auch anzuschauen. Ich signalisiere der Person damit, dass ich ihr meine volle Aufmerksamkeit schenke und aufnahmebereit bin. Ich fokussiere damit auf das, was die Person mir mitteilen möchte. Und genau das ist es doch, was Meetings ausmacht: Die Fokuszeit für besondere Themen! Wir nehmen uns aus der täglichen Arbeit raus, um den Fokus auf die auf der Agenda stehenden Themen zu richten. Warum schaffen wir uns dann selber wieder Ablenkung und verlieren die Chance auf den so wertvollen Fokus?
Fun Fact: Das habe ich auch meinen Kindern beigebracht. Mein jüngster Sohn war schon immer ein Frühaufsteher und kam als Vierjähriger regelmäßig morgens um 4.30 Uhr zu mir ins Bett und wollte mir Geschichten erzählen. Wenn ich ihn dabei dann – müde wie ich war – nicht angesehen habe, hat er mir immer die Augenlider mit seinen kleinen Fingerchen geöffnet und gesagt: „Mama, du sollst mir zuhören!“ Touché! Für ihn war das Zuhören absolut mit dem Anschauen verbunden.
Gleichzeitig ist meine Erwartungshaltung in einem Meeting, dass alle Anwesenden sich einbringen; und zwar nicht nur dann, wenn sie explizit angesprochen und aufgefordert werden. Gleichzeitig ist es für mich ein Akt der Wertschätzung, dass tatsächlich nur die Personen zum Meeting eingeladen werden, die dazu „gebraucht“ werden oder aus einem anderen Grund ein spezielles Interesse an dem Thema haben.
Mich interessiert nur, was ich mache!
Christian Müller fragt zu Recht, welchen Wert ein Meeting überhaupt hat, wenn nur ein Punkt relevant ist. Hier wäre dann sicher zu überlegen, ob es nicht eine sinnvollere Organisation für solch ein Meeting geben könnte, die diesen Umstand mit berücksichtigt. Eine andere Planung der Agenda oder sogar ein eigenständiges Meeting wären da ganz bestimmt eine Überlegung wert.
Doch mich quält dabei noch eine weitere Frage. Wir reden heute immer über abteilungs- und teamübergreifendes Arbeiten, darüber, wie wir Wissen auf breitere Füße stellen können und ein gemeinsames Verständnis für Abläufe und Entscheidungen schaffen können. Wie können Punkte auf der Agenda unter diesem Gesichtspunkt dann nicht relevant sein? Und nehme ich mir nicht die Chance, etwas Neues zu erfahren, wenn ich von Beginn an entschieden habe, dass alles andere nicht relevant für mich ist? Viele Unternehmen organisieren WOL-Zirkel, um das Netzwerken zu unterstützen und Informationen zu tauschen; Meetings geben genau dazu auch eine Gelegenheit – wir müssen sie nur nutzen. Und etwas mehr gemeinsames Verständnis für die Dinge, die im Unternehmen passieren, hat noch nie geschadet!
Überflüssig und wert- und bedeutungslos – ein Armutszeugnis!
Bei diesen Aussagen werde ich tatsächlich traurig und wütend zugleich. Sie stellen für mich ein Armutszeugnis aus – auch für die Personen, die sich so entsprechend äußern. Gleichzeitig sind sie für mich ein Zeichen extremer Konsumhaltung. Es wird erwartet, dass spannende Fakten in einer ansprechenden Form „serviert“ werden! Doch meines Erachtens haben Meetings über nichts mit Konsum zu tun. Meetings sind eine Raum für gemeinsames Arbeiten! Jeder, der an einem Meeting teilnimmt, hat die Verantwortung, zum Wert und zur Bedeutung des Meetings beizutragen! Das geht aber nur über aktive Teilnahme und nicht über ein passives Abwarten oder sich gar mit anderen Dingen beschäftigen! Und jeder hat die Pflicht, sich dafür einzusetzen, dass alle gemeinsam daran mitwirken, dass ein Meeting eben nicht überflüssig ist. Und sollte es doch einmal passieren, dass ein Meeting wenig Wert liefert, dann sollten wir daraus lerne und es beim nächsten Mal besser machen. Die Frage, warum das Meeting so wenig Wert geliefert hat, sollte also gemeinsam geklärt werden.
Hier kommen wir unter Umständen an den Punkt, der die Auswirkungen aufzeigt, wenn Teilnehmer sich mit Emails und Co. beschäftigen und darauf warten, dass sie an der Reihe sind oder angesprochen werden, warum Meetings zu überflüssiger, wertloser Zeitverschwendung verkommen – keine aktive Mitarbeit an den Themen. Doch gerade die aktive Teilnahme mit konstruktiven und kritischen Beiträgen könnte der Schlüssel zur Lösung sein.
Vom Mut, etwas zu bewegen
Es ist spannend, dass bei vielen das Empfinden da ist, dass Meetings nicht optimal laufen. Doch der Rückschluss oder die Motivation, daran was ändern zu können und zu wollen, findet nicht immer statt. Lieber ärgern wir uns weiter, hetzen nach einem zeitfressenden Meeting unserer Arbeit hinterher und sind am Ende extrem gestresst. „So ist das eben bei uns. Da kann ich nichts machen!“, sind Aussagen die ich schon des Öfteren gehört habe.
In seinen „10 Prinzipien für Organisationsrebellen“ fordert @marcusraitner : „Kommt jeden Tag mit der Bereitschaft zur Arbeit, gefeuert zu werden.“ Das klingt radikal und erfordert Mut. Doch letztendlich sagt es eines aus: Übernehmt endlich Verantwortung! Wir können etwas ändern – jeder einzelne von uns! Wir sind diejenigen, die Erfolg oder Misserfolg ausmachen. WIR sind die, die einen Change zum Erfolg führen oder eben auch nicht. Und WIR können einen Change initiieren – dazu müssen WIR uns trauen, den Mund aufzumachen und Verhaltensweisen, Praktiken und Rituale, die uns alle daran hindern, gemeinsame Ziel zu verfolgen oder erfolgreich zu arbeiten, offen anzusprechen und auf Lösungen zu drängen. Wenn wir nicht handeln, wie können wir erwarten, dass andere es tun werden?
Aussagen wie „Wenn jemand meine Zeit verschwendet, kann de auch nicht erwarten, dass ich ihm meine Aufmerksamkeit schenke“, sind kindische „Wie-du-mir-so-ich-dir Todesspiralen“, die nicht zu einer Verbesserung beitragen werden.
Wenn unsere Motivation und unser Engagement in Frust und Gleichgültigkeit umschlagen, geht das zu Lasten von kontinuierlicher Verbesserung und innovativen Ideen. Die Kosten dafür sind immens. Im Extremfall kann das bedeuten: sich unterzuordnen, weil man „am Job hängt“ kann letztendlich genau der Jobkiller sein, den man qualvoll zu vermeiden versucht hat.
Doch selbst wenn dieses Extrem hoffentlich nicht erreicht wird, stellen sich immer noch zwei Fragen: in welchem Umfeld möchten wir wie arbeiten? Und warum lassen wir es zu, dass wir uns nicht gut fühlen?
Nutzen wir die Macht und die Möglichkeiten, die wir haben, denn wir sollten es uns wert sein!
Dieser Beitrag ist nur die Kurzform dessen, was in meinem Kopf vorging, als ich den Thread zu dem Tweet gelesen habe. Mir ist bewusst, dass ich aufgrund einzelner Antworten nicht die gesamte Lage beurteilen kann. Dennoch glaube ich, dass wir alle darüber nachdenken sollten, was wir dazu beitragen können, um etwas zu verändern. Weiterhin stellt dies meine persönliche Meinung dar und soll niemanden verurteilen oder verletzen. Dennoch halte ich es für notwendig, einmal offen darüber zu sprechen, dass jeder von uns eben genau diese Verantwortung trägt und wir uns immer fragen sollen, was nun genau mein Beitrag zu dieser Situation ist und was ich beitragen kann , um sie zu verändern.