In agilen Methoden wie Scrum und OKR sind Team retrospektiven fest im Framework verankert. Aber auch Kanban nutzt dieses kraftvolle Instrument, um sich als Team immer wieder zu hinterfragen und so Verbesserungspotenzial zu entdecken.
Doch auch Teams, die nicht nach einer agilen Methode arbeiten, können Retrospektiven nutzen, um die Zusammenarbeit ins nächste Level zu heben. Retrospektiven stellen somit auch eine Möglichkeit dar, erste Kontaktpunkte mit agilen Methoden, Praktiken und Werten zu schaffen. Aber Obacht: auch wenn eine Retrospektive zunächst einmal „nur“ wie ein weiteres Meeting aussieht, so entwickelt sie erst ihr volles positives Potenzial, wenn sie richtig durchgeführt und moderiert wird. Wird sie unsachgemäß und falsch durchgeführt, kann mit ihr im Ernstfall sogar das sprichwörtliche Porzellan zerschlagen werden! Dann wird die Zusammenarbeit nicht besser, sondern eher schwieriger.
Nun mal Butter bei die Fische…
…könnte das Motto der Retrospektive sein! Sie ist das Meeting für das Team, in dem offen und ehrlich aber strukturiert und konstruktiv über alles gesprochen wird, was sich auf die Zusammenarbeit auswirkt – positiv wie negativ. Im Team werden dann gemeinsam Maßnahmen als Experimente beschlossen, um sich als Team weiterzuentwickeln. Damit eine Retrospektive also erfolgreich sein kann, müssen alle Teammitglieder bereit sein, ihre Sichtweisen mitzuteilen. Nur wenn alle Fakten auf den Tisch kommen, können gemeinsam auch entsprechende Lösungen gefunden werden. Doch dies darf nicht zum „Tag der Abrechnung“ voller Schuldzuweisungen und Bloßstellungen ausarten. Um das zu schaffen, braucht es die sogenannte psychologische Sicherheit, einen geschützten Rahmen und eine erfahrene Moderator:in.
Die Gäste
An der Retrospektive nehmen das Team und die Moderator:in teil. Dabei kann die Moderator:in auch aus dem Team kommen; allerdings hat sie während der Retrospektive ausschließlich die Rolle der Moderation und nimmt nicht als Teammitglied aktiv an der Datensammlung und Lösungsfindung teil. Weitere Gäste sind nur in begründeten Fällen UND nur mit Zustimmung des gesamten Teams erwünscht.
√ Moderator:in vorhanden
√ Moderator:in nimmt nicht aktiv an den Diskussionen teil
√ Team akzeptiert die Moderator:in
× Vorgesetzte nehmen teil, ohne im Team zu arbeiten und ohne das Team zu befragen
× Schuldzuweisungen und Bloßstellungen werden akzeptiert
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In diesem Video werden kurz die wichtigen Aspekte einer agilen Retrospektive erläutert. Erfahre gemeinsam mit Tina unserer Hauptfigur mehr über die Moderatorenrolle und den Aufbau einer Retrospektive.
Die Durchführung
Je nachdem, wer befragt wird, besteht eine Retrospektive aus vier bis sechs Phasen. In unserer Beratungs- und Coachingpraxis nutzen wir das gängige 5‑Phasen Modell.
Set the Stage | Die Bühne vorbereiten | Einstimmung der Teilnehmenden auf die Retrospektive; mentales Ankommen |
Gather Data | Daten sammeln | Informationen, Daten, Fakten und Meinungen zur Zusammenarbeit in den vergangenen Wochen sammeln |
Generate Insights | Einsichten gewinnen | Die gesammelten Infos clustern, hinterfragen, verstehen und abstimmen |
Define Action | Weiteres Vorgehen definieren | Mögliche Lösungen für die „High votes“ diskutieren, Entscheidungen treffen und dokumentieren / visualisieren |
Close Retrospective | Abschluss | Feedback, Ausklang |
Einige fassen die ersten beiden Phasen zu einer zusammen. Doch unserer Meinung nach sollten diese Phasen getrennt behandelt werden, da sie unterschiedliche Ziele verfolgen. Außerdem ist die erste Phase wichtig dafür, dass in der zweiten Phase überhaupt relevante Informationen zusammengetragen werden können.
Andere wiederum fügen noch eine Phase ein, in der überprüft wird, ob alle Maßnahmen aus der vorangegangenen Retrospektive erfolgreich gewesen sind, um somit dem im agilen Umfeld genutzt Inspect & Adapt Ansatz zu genügen. Wir glauben, dass nicht erfolgreiche Maßnahmen, die noch immer ein Problem darstellen, sowieso wieder in der Retrospektive auftauchen werden und verzichten daher auf diese Phase. Agilität bedeutet eben auch, nicht stur einem Muster zu folgen, sondern immer zu schauen, was sinnvoll ist.
Ein bisschen Spaß muss sein!
Damit die Retrospektive nicht nur hilfreich ist, sondern auch Spaß macht, hat die Moderator:in die Aufgabe, einen inspirierenden Rahmen mit spannenden Fragestellungen zu schaffen – und dabei darf es gerne kreativ und bunt zugehen. Die Webseite retromat kann helfen, wenn dir als Moderator:in einmal die Ideen ausgehen. Ein grundlegendes Muster findet sich aber in allen Varianten:
Was war gut? – Was war nicht gut? – Was haben wir gelernt?
Ich persönlich liebe die Abwechslung bei Retrospektiven. Dazu passe ich auch mal die Fragestellungen an die Jahreszeit oder an ein Event an. Außerdem mache ich die Thematik und die Übungen abhängig vom Team, vom Zustand des Projektes oder aber auch vom Zeitpunkt des Projektes.
Mit der Wahl der Fragestellungen und der Thematiken kann die Moderator:in sowohl Spaß in die Retrospektive bringen als auch die Richtung der Datensammlung und damit der zu erkundenden Bereiche vorgeben.
Nachfolgend findest du ein Beispiel für eine Retro mit Übungen, die ich regelmäßig nutze:
Set the Stage | Verlesen und Besprechen: „Oberste Direktive“ & „Vegas Rule“ Kreative Aufgabe: „Welchen Filmtitel würdest du eurer Zusammenarbeit in den letzten Wochen geben und welches Genre wäre der Film?“ Ergebnisse werden vorgelesen und begründet |
Gather Data | Brainwriting!!! (mit Bezug auf die Fragestellungen aus „Generate Insights“) |
Generate Insights | „Der Heißluft-Ballon“: Was lässt euch abheben? Was hält euch am Boden? Was gibt euch zusätzlichen Auftrieb? Was kann euch gefährlich werden? Voting mit Strichen / Klebepunkten; 5‑Why Methode; |
Define Action | Ideen entwickeln & diskutieren; nächste Schritte beschließen mit Zuständigkeiten |
Closing Retro | Stimmungsbarometer „Wie geht es dir nach dieser Retro?“ mit Bewertung und Begründung |
Auch Retrospektiven wollen gelernt sein!
Wer Wunder gleich von der ersten Retrospektive erwartet, der setzt die Messlatte definitiv zu hoch an. Die Teilnehmenden müssen zunächst einmal Vertrauen gewinnen, dass die angesprochenen Themen wirklich keinen negativen Einfluss auf die weitere Arbeit haben. Gleichzeitig müssen sie sich mit der Methode vertraut machen. Unsere Erfahrung ist es, dass Teams bei der ersten Retrospektive zunächst einmal sehr oberflächlich bleiben und allgemeine Aspekte ansprechen. Je häufiger sie dann aber an Retrospektiven teilnehmen, desto wertvoller werden die Ergebnisse. Daher ist es auch wichtig, dass Retrospektiven in regelmäßigen, kurzen Abständen von drei bis sechs Wochen durchgeführt werden. Das schafft Übung und Nachhaltigkeit!
Zu guter letzt…
…ein paar absolute No Go´s, wenn du eine erfolgreiche Retrospektive durchführen willst:
× Moderator:in ist nicht vorbereitet / wird erst in der Retro bestimmt
× nur eine:r / wenige sprechen
× Meetingsituation ohne Kreativität
× Anmerkungen / Informationen anderer werden abgetan / negativ kommentiert
× Teilnehmende beschäftigen sich mit anderen Dingen
× Infos aus der Retro werden nach außen getragen
× „Camera off“ in der online Retrospektive
Fazit
Retrospektiven sind nicht nur super hilfreich, sondern machen auch Spaß. Auch für Teams, die jetzt im Homeoffice arbeiten, stellen Retrospektiven eine gute Möglichkeit dar, sich kontinuierlich zu verbessern. Doch bevor du in die erste Retrospektive als Moderator:in startest, beschäftige dich mit dem Thema, denn deine Rolle ist enorm wichtig. Alternativ holt euch als Team eine erfahrene, externe Moderator:in, von der ihr lernen könnt!